In den letzten Jahren hat kein Kriegsfilm das Elend der Soldaten im Ersten Weltkrieg so gut eingefangen, ohne einseitige pathetische Heldenlegenden schmieden zu wollen. Selbst die Neuverfilmung vom „Im Westen nichts Neues“ versagte dabei in meinen Augen, vor allem, weil genau diese Themen aus Remarques Roman in der Verfilmung von 1930 (Renewed 1957) besser eingefangen wurden. 1917 bringt eine andere, britische Sicht auf die Kämpfe – inspiriert durch Erzählungen des Meldegängers Alfred Mendes, Großvater von Regisseur Sam Mendes.
Story/Inhalt
Im Frühjahr 1917 erhalten die beiden Lance Corporals Blake und Schofield den Befehl das umkämpfte Niemandsland und die deutschen Linien zu durchqueren um einen Befehl an Colonel Mackenzie zu übergeben. Seine Offensive soll nicht stattfinden, da es nach neuesten Aufklärungserkenntnissen nur eine deutsche Finte ist, die 1.600 Mann in einen Hinterhalt laufen lassen würde.
Zuerst kommen sie, obwohl bei Tageslicht im Niemandsland unterwegs, gut voran. Doch die vorderen deutschen Stellungen sind zwar verlassen, aber mit Fallen bestückt. Nachdem sie einen Luftkampf beobachten, entscheiden sie sich den abgeschossenen deutschen Piloten aus seiner brennenden Maschine zu retten. Als dieser Blake tötet, ist Schofield auf sich allein gestellt. Die Zeit drängt, jede weitere Verzögerung könnte die Auslöschung des Bataillons bedeuten.
Die Geschichte ist als One-Shot inszeniert, was die Aspekte der Front noch verdichtet. Den beiden Charakteren wird genug Zeit gegeben sich aufzustellen bevor der Faktor Zeit den Druck auf den Fortschritt in der Handlung erhöht. Eine gute Geschichte, die immer das richtige Tempo trifft. 9 von 10 Punkten.
Schauspieler
Für die Hauptcharaktere wurden bewusst zwei Schauspieler gewählt, die nicht zur Starriege zählen. Dean-Charles Chapman als Blake ist motiviert durch die Tatsache, dass in dem zu rettenden Bataillon sein Bruder dient. Er ist noch nicht lange an der Front und geht die Sache mit einer gewissen Naivität an. Ganz anderes George MacKay (Outlaws) als Schofield, der bereits mehrere Offensiven mitgemacht hat und einfach nur überleben will. Aber auch das stellt er aus Pflichtbewusstsein hintenan nachdem er allein übrig ist und sich durch eine Stadt schleichen muss, die von den Deutschen besetzt ist. Er hat noch Menschlichkeit, doch wie jeder erfahrene Frontsoldat kann er sie abstellen, wenn er sich dem Feind stellen muss.
In Nebenrollen sind außerdem noch einige Stars zu sehen: Colin Firth (The King’s Speech), Benedict Cumberbatch (Doctor Strange, Sherlock), Mark Strong (Kingsman – The Secret Service), Richard Dempsey (Narnia-Franchise), Richard Madden (Game of Thrones, Rocketman) und Andrew Scott (Sherlock, Spectre).
Auch wenn diese Schauspieler oft nur eine Szene haben, hebt das das Gesamtbild noch eine Stufe nach oben. George MacKay ist bestimmt der glänzende Stern im Film, was die Leistung von Dean-Charles Chapman nicht schmälern soll. 9 von 10 Punkten für den Cast.
Regie
Sam Mendes (Road to Perdition, Skyfall) drehte mit 1917 seinen zweiten Kriegsfilm nach „Jarhead – Willkommen im Dreck“. Hier verwendete er die One-Shot Mechanik zur Perfektion, sodass abgesehen von einer kurzen Sequenz, die die Bewusstlosigkeit nach einem Sturz von Schofield darstellt, das Gefühl entsteht, dass alles in Echtzeit geschieht. Dabei legt Mendes sowohl Wert auf die Aussagekraft unkommentierter Bilder als auch den Gesprächen unter den Soldaten, die in Ruhezeiten seltsam distanziert zum Geschehen rund um sie wirken mögen. Doch mit recht wenig Ausnutzung anderer Stilmittel kommt Mendes so konsequent voran. Und mit dem finalen Lauf von Schofield durch die Reihen der Sturmgräben schuf Mendes eine Kriegsszene, die nicht nur im Trailer beeindruckt, sondern in ihrer Langfassung Einzug in die Filmhandbücher gefunden hat.
Trotz aller Sorgfalt haben sich doch einige Fehler eingeschlichen, darum nur 8 von 10 Punkten.
Nachbearbeitung
Die Gräben und Bunkerstellung wurden so authentisch wie möglich nachgebaut und es wurde bei bedecktem Wetter gedreht, um eine Tristesse zu schaffen, die sich über die Soldaten in den Gräben legt. Bei Uniformen und Ausrüstung wurde hoher Wert darauf gelegt die Situation von Soldaten, die schon wochenlang in ihren Gräben harren, einzufangen. Dazu gehören auch die allgegenwärtigen Ratten und Dreck sowie die Knappheit an Nahrung und Wasser. In klaren Details zeigt Mendes im Niemandsland aufgerissene Böden, mit verrottenden Körpern von Mensch und Tier in allen Verwesungsgraden. Dabei fehlt die totale Wertung von Gut oder Böse, Kamerad oder Feind. Stoisch unberührt laufen Blake und Schofield durch die Mondlandschaft und versuchen einfach nur voranzukommen. Keine glitzernde Nachricht vom schlechten Krieg oder der Ruf nach Frieden, einfach nur Sein und Überleben. Fesselnd eingefangen, und im Bonusmaterial Sam Mendes und Kameramann Roger Deakins kommentiert. Die drei Oscars erhielt 1917 alle im technischen Bereich – Beste Kamera, Bester Ton und Beste visuelle Effekte. Nominiert in zehn Kategorien sind das 8 von 10 Punkten.
Manchmal wurde kritisiert 1917 würde sich zeitweise wie ein First-Person-Shooter anfühlen. Doch Krieg ist wie ein Computerspiel. Was die meisten dabei aber vergessen ist: im Leben gibt es keinen Respawn, und dem Spieler ist der einzelne Soldat genauso scheißegal wie dem Generalstab, der nur Figuren auf einer Landkarte verschiebt und dabei Champagner schlürft.
Musik
Einzig das Lied „I Am a Poor Wayfaring Stranger“ von Jos Slovick fand Einzig in den Film. Der restliche Score umfasst 19 Titel, ist mehrheitlich szenische Begleitung, wobei Stille ein passenderes Medium ist als man zu glauben mag. Nebst dem technischen Aspekt wurde dieser Score ebenfalls mehrfach ausgezeichnet, weil er atmosphärisch und untermalend die Aspekte des Gezeigten hervorhebt. 7 von 10 Punkten.
Filmkritk
Fazit
1917 ist nicht der klassische Kriegs- oder Antikriegsfilm. Er erzählt eine Geschichte, ohne Wertung, ohne überzogene Message in die eine oder andere Richtung. Die Schauspieler bringen die schizophrene Gespaltenheit zwischen Soldatentum zwischen Dahinleben und Sturmangriffen und Überlebenswillen gegenüber Menschlichkeit überzeugend und fesselnd rüber. Sicher einer der Höhepunkt des Kinojahrs 2019/2020, der mit 8,5 von 10 Punkten Pflichtprogramm für jeden Filmfan ist.