Der deutsche Film besteht (zum Glück) nicht nur aus Mist von und mit Til Schweiger, flachen Möchtegern-Komödien aus dem Hartz-IV-Keller und Tatort. Ab und an kommt aus dem Rand der großen Genres auch mal ein Querschuss, in diesem Fall für die Rubrik Psychothriller mit Elementen von (sanftem) Horror.
Story/Inhalt
Gretchen ist mit ihrem Leben nicht ganz zufrieden. Zusammen mit der neuen Stiefmutter und deren Kind Alma beschließt ihr Vater gegen den Wunsch seiner Tochter ihr Leben in Amerika gegen die abgelegene Idylle der deutschen Bergwelt einzutauschen. Sie nimmt einen Job in einem Hotel an, um so schnell wie möglich an das Geld zu kommen um das Resort wieder verlassen zu können. Da sich alles um ihre Stiefschwester Alma dreht, die seit ihrer Geburt nicht spricht und mittels Computer und Gebärdensprache mit der Welt kommuniziert, glaubt Gretchen woanders besser aufgehoben zu sein.
Abgesehen von der Lage ist der Ort auch sonst bestenfalls unheimlich. Vor allem als bei der nächtlichen Heimfahrt ein seltsames Wesen Gretchen auf ihrem Mountainbike verfolgt. Als sie kurz darauf zusammen mit einem Gast durchbrennen will, trifft sie erneut auf die Erscheinung, die irgendwie die Zeit manipulieren kann. Im Krankenhaus muss Gretchen bald feststellen, dass ihre Eltern den Aufenthalt unbegrenzt verlängern wollen; vor allem, weil ihre Stiefschwester Alma, die nicht spricht, hier behandelt werden könnte. Herr König, dem das Resort und das Umland gehören, hat aber ein ganz anderes Interesse an der kleinen Alma, und auch an Gretchen.
Wie der Titel vermuten lässt steckt irgendeine Form der Kuckuckskinder oder Wechselbalg-Legende hinter dem Ganzen. Ein bisschen Krimi mit Horrorelementen führen Gretchen Schritt für Schritt hinter die Kulissen. Was zuerst nicht zusammenzupassen scheint, ergibt am Schluss eine klare Lösung, die allerdings bei genauerer Betrachtung zu viele Ecken, Kanten und einfache Lösungen hat. Trotzdem gute Unterhaltung, die 7 von 10 Punkten verdient.
Schauspieler
Man sollte meinen, dass die großen Namen natürlich bei kleinen deutschen Produktionen fehlen. Weit gefehlt.
Hunter Schafer erfüllt diese Erwartungen in der weiblichen Hauptrolle: mit Rollen in der Serie Euphoria und als Tigris in „Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes“ konnte sie Erfahrungen sammeln. Sie macht ihre Sache sehr gut, überzeugt sowohl auf rebellischer Teenager als auch liebende Stiefschwester und bietet dem Bösewichte tapfer die Stirn.
Besagter Bösewicht ist Herr König, gespielt von Dan Stevens. Er spielte das Biest in der Verfilmung von „Die Schöne und das Biest“ aus dem Jahr 2017 neben Emma Watson, aber auch die Rolle des Matthew in Downton Abbey. Zuletzt war er im Vampirhorror Abigail, aber auch in „Godzilla x Kong: The New Empire“ zu sehen. Obwohl von Anfang an klar ist, dass Herr König nicht ohne Eigennutz so freundlich zu Gretchen ist, wird er gegen Ende doch etwas entzaubert.
Martin Csokas spielt Gretchen Vater Luis. Csokas spielt zumeist die tragenden Nebenrollen, etwa in „Last Duel“, der Serie „Into the Badlands“ oder im ersten Teil von „Triple XXX“. Die Rolle der Eltern kommt etwas zu kurz, sodass Csokas selbst, aber auch Jessica Henwick („Love and Monsters“, „Matrix 4“), etwas untergehen.
Die kleine Alma wird von Mila Lieu gespielt, Jan Bluthardt trifft als Henry auf, und Astrid Bergès-Frisbey (Fluch der Karibik – Fremde Gezeiten, King Arthur: Legend of the Sword) als französische Touristin Ed.
Der Cast kann auf ganzer Linie überzeugen, wobei besonders Hunter Schafers Leistung betont werden muss. 8 von 10 Punkten spiegeln das wieder.
Regie
Die Verantwortung übernimmt Tilman Singer, der bereits 2018 mit Luz einen Geheimtipp für Genrefans auf den Markt brachte. Mit ausreichend Zeit ein Drehbuch zu entwickeln und durchzuplanen ist auch Cuckoo ein gut ausgereifter und gemachter Film. Als Grundlage dient hier die Kuckucks- oder Wechselbalglegende, die zuletzt auch dank Filmen wie „Goblins“ gerade wieder etwas Renaissance im Genre erlebt.
Singer mischt die Legende hier etwas mit Biotechnologie, da König die Fähigkeit des „Homo Cuckorono“ (Anmerkung: mein Latein ist eingerostet, eine Google Suche war nicht hilf/erfolgreich und die genaue Szene, in der Begriff einmalig im Film fällt, zu finden war mir zu aufwendig – Mea Culpa) ergründen und nutzbar machen will. Bei der Darstellung der Kuckucksmutter greift er auf klassische Stilmittel zurück, die genauso gut einen Geist, eine dämonische Entität oder einen Wiedergänger darstellen könnten – die Auflösung wird erst im letzten Drittel eindeutig bestätigt.
Tilman Singer hat bisher vier Filme, bei denen er auch immer das Drehbuch erarbeitete, abgedreht. Cuckoo ist genauso wie der Vorgänger „Luz“ ein Geheimtipp mit insgesamt 5 verliehenen Preisen und 11 Nominierungen (Stand: 29.07.2024). Cuckoo hätte es verdient einige Preise, oder zumindest Nominierungen, nachzulegen. Gute Arbeit, die wie die Schauspieler 8 von 10 Punkten bringt.
Nachbearbeitung
Der Film sollte eigentlich bereits im Mai 2024 erscheinen. Aufgrund von Verzögerungen, auch bei Synchronisierung, steht er vorerst nur OmU (Sprache: Englisch) zur Verfügung. Im Film selbst werden Deutsch, Englisch und einige Sätze in Französisch und Italienisch gesprochen, plus eine AI-Sprachhilfsprogramm, dass Alma benutzt. Der Kinostart ist am 29. August 2024.
Bei der Darstellung der „verhüllten Frau“ nutzt Regisseur Singer klassische Stilmittel, kombiniert mit Licht und Schnitteinsatz. Nach der Offenbarung zum Finale sind diese Mittel nicht mehr nötig und die Schnitt- und Positionssprünge werden deutlich weniger. Allerdings sind es gegen Ende vielleicht doch ein oder zwei Twists zu viel. Noch einmal seine Loyalität oder Beweggründe zu ändern ist da fast an den Haaren herbeigezogen, oder macht zu diesem Zeitpunkt einfach keinen Sinn.
Eine handwerklich solide Arbeit, die 6 von 10 Punkten bringt.
Musik
Weniger Musik als der Einsatz von Sounddesign runden den Film ab. Die Szenen werden dadurch untermalt und begleitet, was meistens gut zusammenpasst. Da sich kein musikalischer Beitrag nachhaltig eingebrannt hat, runden 4 von 10 Punkten den Film ab.
Filmkritk
Fazit
Cuckoo war nicht unbedingt meine erste Wahl: das Genre ist überfüllt mit mittelmäßigen Produktionen, das Thema erlebte bereits letztes Jahr eine kleine Renaissance (was aber nicht unbedingt positiv war, siehe Goblins – Tödliche Biester“), und nicht zuletzt sind viele deutsche Filme, im Vergleich zu anderen Ländern, mit ausgeblähten Dialogen und mittelmäßigem Schauspiel überzuckertes Daily-Soap-Qualität, bei der wie bei „Chantal im Wunderland“ die Anzahl der Gehirnzellen durch Ansehen merkbar abnehmen. Doch Regisseur Tilman Singer liefert eine würdige Ergänzung für seine Vita, die gemessen an den Mitteln ihre 6,5 von 10 Punkten absolut verdient. Hunter Schafer in ihrer ersten Lead-Hauptrolle ist auf jeden Fall eine positive Überraschung, während Astrid Bergès-Frisbey nach 13 Jahren noch immer zurück ins Nixenkostüm von Fluch der Karibik schlüpfen könnte und keinen Tag älter wirkt, aber ihre Chance damals wohl verpasst hat.