„Wehret den Anfängen“… der Hungerspiele. Die Vorgeschichte rund um Coriolanus Snow, seines Zeichens Präsident von Panem in der der ursprünglichen Trilogie, soll etwas Licht auf seine Beweggründe und Agenden werfen, die Panem prägen und zu der Revolution gegen das Kapitol führen wird. 64 Jahre früher:
Story/Inhalt
Coriolanus Snow, einfacher Bürger des Kapitols hofft endlich den Platz zurückzuerobern, der seiner Familie einst zustand. Während sein Vater im Bürgerkrieg als General das Kapitol verteidigte, mussten seine Cousine Tigris und er Müll durchwühlen und verloren doch Ansehen und Prestige.
So kommt es äußerst ungelegen, dass genau jetzt die Regeln geändert werden. Das Stipendium, für das Snow jahrelang hart gearbeitet hat, und einige unvorteilhafte Allianzen eingehen musste, wird von Dekan Highbottom gestrichen und an neue Bedingungen geknüpft. Nun genügt es nicht mehr hart zu arbeiten und die Konkurrenz mit Qualität und Engagement zu überflügeln, plötzlich muss der zugewiesene Teilnehmer die Hungerspiele auch gewinnen. Und was soll den Dekan daran hindern die Regeln erneut zu ändern?
Die Vorgeschichte der Gesellschaft von Panem auszurollen kommt meiner Meinung nach viel zu spät. Die überzogenen Darstellungen des Kapitols, ganz im Stil des sowjetischen Großbaus, mit der dazugehörigen Dekadenz der Eliten im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung dominieren gut die erste Hälfte des Films, während im dritten Akt, der fast die Hälfte der Laufzeit in Anspruch nimmt, eine gepeinigte, aber doch heile Welt in einem Distrikt zeigt. Sowohl in Charakterzeichnung, Charakterentwicklung und Motivation sowie Szenerie ist Luft nach oben, was durch die dünne Story noch offensichtlicher zutage tritt. Frei nach dem sowjetischen Prinzip: zu viele Baustellen mit zu Substanz, sodass es nur unfertige 3 von 10 Punkten für die Story gibt.
Schauspieler
Tom Blyth als junger Coriolanus Snow ist sehr bemüht die grundlegenden Charakterzüge deiner älteren Vorlage wiederzugeben – aber Donald Sutherland imitieren zu müssen ist ein großer Schuh. Schwächen der Handlung, vor allem im dritten Akt, machen es noch schwieriger. Da Blyth mehrheitlich nur Kurzfilme und Serien in seiner Vita hat, ist ihm hierfür aber nicht der Schwarze Peter zuzuschieben.
Rachel Zegler wollte die Rolle zuerst nicht. In Anbetracht der Zeichnung von Lucy Gray Baird als „zwangsverortete“ Bürger des fahrenden Volks, die auch noch mit einer Manipulation zum Tribut gemacht wird, kein Wunder. Ihre Aufgabe ist als Sängerin erfüllt sie wie schon in Westside Story sehr gut, doch auch hier tritt mangelnde Erfahrung öfter ans Licht. Und die ganze gespielte Empörung rund um ihre Rolle als Schneewittchen tat wohl das übrige um ihren Auftritt in ein schlechteres Licht zu stellen als er eigentlich ist.
Peter Dinklage als Dekan Highbottom ist wohl der Schwachpunkt des Films. Noch immer wird, wie im Trailer zu sehen, versucht seinen Ruhm auszuschlachten, den er sich in Game of Thrones erspielt hat. Hier ist er nur ein Nebencharakter, der ohne große Auswirkungen auch gestrichen oder ersetzt werden könnte. Denn der wahre Bösewicht im Film, das wahre Genie hinter der ganzen Fassade ist nicht der Dekan, sondern Dr. Volumnia Gaul, gespielt von Viola Davies. Als intrigante Strippenzieherin ist sie Snow eine diabolisch geniale Mentorin, die den jungen Snow wie einen Klumpen Lehm zu der Waffe formt, die sie zukünftig brauchen wird. Einige richtig gesetzte Intrigen, ein kleiner Rückschlag hier und da, und schon ist Snow Wachs in ihren Händen. Alle Charakterzüge, die Donald Sutherlands Präsident Snow aufweist, sind bei ihr zu erkennen.
Den beiden Hauptdarsteller sei ihre Unerfahrenheit verziehen, denn ein in weiten Strecken schwaches Drehbuch lässt sich nicht überspielen. Viola Davies holt vieles heraus, während fast die gesamte Bildschirmzeit von Peter Dinklage bereits im Trailer zu sehen war. Der Fairness halber 5 von 10 Punkten, doch es liegen Welten von Licht und Schatten zwischen diesem Cast.
Regie
Francis Lawrence zeigte schon mit Vorgängerfilmen wie „Constantine“ (mit der besten Darstellung des Teufels in diesem Millennium) oder „I am Legend“ bereits auf, doch erst seine Berufung für den zweiten Teil der Tribute-Saga brachte der Österreicher weg aus der Welt der Musikvideos ins Kino. Mit „Wasser für die Elefanten“ hatte er sich wohl für Tribute von Panem empfohlen und fügte mit Jennifer Lawrence den Spionagethriller „Red Sparrow“ zu seiner Vita. Da schien es quasi ein Selbstläufer zu sein, ihm auch die Regie für das Prequel zu Panem zu geben. Wie man sich täuschen kann…
Die Hungerspiele sind bereits mit dem zweiten Akt abgeschlossen, und das nicht mit einem Knall, sondern einem Deus Ex Machina. Und dann ist beim Film erst Halbzeit, denn nun beginnt ein übertrieben langatmiger Ausflug nach Distrikt 12, der Snow die emotionale Grundlage für sein zukünftiges Handeln geben soll. Jugendliche mögen sich in dieser Welt vielleicht noch verlieren können, doch die löchrige, mit Anspielungen auf Tatsachen, Ereignissen und Andeutungen auf die Zukunft gespickte Handlung überspannt den Bogen (der Geduld). Da ist das fade Ende nur noch die sauer gewordene Sahne auf einem matschigen Konstrukt, das eigentlich Kuchen sein sollte.
Die Schuld liegt hier aber wohl bei der Romanvorlage von Suzanne Collins und weniger an der Drehbuchadaption. Trotzdem ist das Gesamtbild mäßig, was in der Nachbearbeitung noch ausführlicher erörtert wird. 6 von 10 Punkten für die Regiearbeit stehen zu Buche – der Teilnehmer bleibt im Spiel, kein Salutschuss von Nöten.
Nachbearbeitung
Im Film werden drei unterschiedliche Welten dargestellt. Zuerst das nach außen pompös wirkende Kapitol, das mit Monumentalbauten im sowjetischen Stil glänzt: gigantische Hochhauskomplexe, in deren Herzen breite Prachtstraßen zu gigantischen Statuen führen. Wohl das dem Skizzenbuch von Albert Speer ausgeliehen und mit sowjetischen Stadtbildern aus dem Russland und dem Ostblock ergänzt. Doch bereits hinter der sichtbaren Fassade sind die Ruinen des Krieges noch überall sicht- und spürbar, angefangen von der Mangelversorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern bis zu Heizmaterial und Licht.
Rund um die Hungerspiele, die den zweiten Akt dominieren, werden die Kameras des Kapitols genau auf die Ruinen gerichtet. Dabei rührt das Kapitol die Propagandatrommel: denn das Spielfeld ist natürlich nur darum so gehalten, damit sich die Tribute in einer ihnen vertrauten Welt bewegen können, und keinesfalls, weil die Mittel und Arbeitskräfte fehlen eine entsprechende Arena zu errichten. Genau darum braucht es dann auch eine Abkürzung, denn als die Spiele zu lange dauern versucht Dr. Gaul mit einem Spektakel abzuschließen.
Im dritten Akt wird Snow ins Exil geschickt, besticht sich aber in bester sowjetischer Manier einen Platz in Distrikt 12 mit der Hoffnung dort Lucy Gray wiederzutreffen. Obwohl die Friedenswächter nichts anderes als eine Besatzungstruppe mit Geheimpolizeicharakter sind, können sie sich außerhalb des Dienstes eigentlich recht frei bewegen, berücksichtigt der Tatsache, dass ja nach eigenem Weltbild alle Distriktbewohner potentielle Revolutionäre sind. Distrikt 12 ist als Kohleproduzent in Aufmachung und Kultur den Bundesstaaten im Appalachen Gebirge zuzuordnen, inklusive der Musik und Tanzkultur (Clocking, Square und Bluegrass). Dafür, dass es einer der ärmsten Distrikte sei, sind die Leute aber überraschend gut ernährt, gekleidet, sauber und generell trotz Nahrungsmittelmangel genügsam. Und wenn sich doch ein paar Revoluzzer zusammenfinden, bricht ihre Verschwörung spätestens dann zusammen, wenn mehr als zwei Personen daran beteiligt sind. Geballte Inkompetenz mit zu vielen individuellen Agenden – als würde man den Film dafür nutzen wollen den Klimaklebern und sonstigen Aktivisten zu zeigen, dass ihr Tun im Vornhinein nicht ans Ziel führt, und sonst können noch immer die Friedenswächter eingreifen und ein paar Aufständische hängen.
Zu Beginn hätte wohl gegolten weniger ist mehr, während der dritte Akt die Zeichnung der Welt von Panem ad absurdum führt. Heute noch in einem dystopischen Film, morgen vielleicht schon vor der Haustür. 6 von 10 Punkten für die Aufmachung.
Musik
Während in den ersten beiden Akten Musik nur der Charakterzeichnung von Baird sowie der szenischen Untermalung dient, tritt im dritten Akt Musik und Tanz mehr in den Vordergrund. Mehrere Auftritte in der Bar bringen Baird samt Entourage auf die Bühne und bringen die Bewohner zum Mitsingen und Tanzen. Wie jeder gute Musiker nutzt Baird ihre Freizeit um neue Lieder zu komponieren, und schafft so nebenbei auch die Grundlage für die Parole des 50 Jahre später stattfindenden Aufstands gegen die Macht des Kapitols „Hanging Tree“. Hätte der naive Snow das damals nur geahnt, er hätte diese Nummer wohl gleich unterdrückt.
8 von 10 Punkten für die Musik, was traurig stimmen sollte. Wenn die Musik einen Film tragen muss, der eigentlich auch Charakterzeichnung und Action fußen sollte, ist einiges falsch gelaufen.
Filmkritk
Fazit
Eine gute Vorgeschichte sieht anders aus. Es bleibt der bittere Geschmack als wollte man einer Generation, die mit der Trilogie inspiriert wurde, wieder an die Leine legen in der man ihr zeigt, dass ihr Aufstand, ihr Kampf, das gesichtslose Konstrukt der Regierung doch nicht aufhalten kann. Der Feind sind hier die eigenen Leute, die opportunistisch andere für sich opfern (Bairds Berufung als Tribut), sie dann am Rande der Gesellschaft halten (selbst als Siegerin der Spiele kaum eine Verbesserung ihres Lebens, weil Baird sich weigert im Kapitol als Propagandafigur aufzutreten), und schließlich bei erster Gelegenheit verkaufen (Snow und sein Freund aus dem Kapitol bei den Friedenswächtern). So wird Snow, enttäuscht vom Kapitol, zuerst zu einem Revolutionär, und dann zu einem Verräter an allen neu gefundenen Grundsätzen, nur, weil Baird seine Liebe nicht erwidert. Eine wenig erwachsene und gefährliche Botschaft für einen Teenager. Der Singvogel ist verstummt, die Schlange hat gefressen und ist satt. Da bleiben 6 von 10 Punkten für einen weiteren, leider schwachen Eintrag in die Welt von Panem.