Die Hochzeit des Western ist seit Jahrzehnten vorbei. Ab und an gibt es noch einen guten neuen Eintrag, doch entweder hat der Neo-Western das Genre abgelöst oder es sind kaum sehenswerte Schießabenteuer mit schlechten Geschichten und Schauspielern. Dabei bietet der Wilde Westen doch so viel Potential.
Story/Inhalt
Auf einer angelegenen Farm in Oklahoma leben Harry McCarty und sein Sohn ein ruhiges, einfaches Leben als Farmer. Seit dem Tod seiner Frau ist der einzige Kontakt zur Außenwelt sein Schwager. Das ändert sich allerdings als eines Tages ein einsames Pferd auf ihre Farm trottet und Harry den Reiter sucht. Er findet einen angeschossenen Deputy und eine Tasche mit viel Geld. Bald wird er bereuen dem Mann geholfen zu haben, denn kurz darauf taucht die Bande rund um Sam Ketchum auf der Farm auf und sucht den Reiter, aber vor allem die Beute. Sie schlagen die Warnung des alten Farmers in den Wind und beginnen eine Belagerung. Ein schwerer Fehler, denn der alte Farmer ist nicht wer er vorgibt zu sein.
Spätestens wenn der Name eines bekannten Revolverhelden erwähnt wird, sollte jedem klar sein wer der Farmer ist. Aber bis dahin bereitet der Film mit seiner ruhigen Erzählweise die Bühne für den großen Shootout, auf den wir alle warten. Nicht alle Western-Klischees werden gefüttert, und mit einem Hauch von Red Dead Redemption steckt in dem alten Mann doch noch ein Funken Leben. 7 von 10 Punkten.
Schauspieler
Tim Blake Nelson hat mit seinem schmalen, fast ausgezehrten Gesicht einen Wiedererkennungswert. Er spielte auch schon in mehreren Western mit, etwa „The Ballad of Buster Scruggs“, „The Homesman“, „Lincoln“, aber ist auch Teil des erweiterten MCU: „Der Unglaubliche Hulk“ und das Remake von „Fantastic 4“. Zwischenzeitlich auch als Regisseur tätig, konzentriert sich Nelson mittlerweile wieder auf die Arbeit vor der Kamera. In der Rolle von Harry geht er voll auf, wie so oft mit ruhiger, stoischer Effizienz und glaubhafter Natürlichkeit.
Stephen Dorff spielt Sam Ketchum. Dorff, bekannt als Anführer der Vampire im ersten Blade-Film, trat 2019 in einer Staffel von True Detective auf. Sein Charakterprofil trifft meistens die Gegenspieler, die charismatischen Bösewichte oder korrupten Anführer. Hier liefert er wieder eine solide Leistung ab ohne zu viele Klischees zu füttern. Wie auch die Rolle von Nelson hat er einen natürlichen Instinkt um Kugeln auszuweichen und hält auch gut und gerne ein paar Kugeln mehr aus als seine Männer. In weiteren Rollen sind Scott Haze (Jurassic World Ein neues Zeitalter) und Gavin Lewis (Little Fires Everywhere) zu sehen. Insgesamt kommt der gesamte Film mit nur 9 Schauspielern aus, die namentlich erwähnt werden, sowie noch einmal fünf für die Massenszene zum Finale.
Nelson und Dorff liefern tolle Leistungen ab und werden gut ergänzt. Haze als Deputy, der die Sache auslöst, und Lewis als der rebellische Sohn, der eigentlich das Leben der Farm gegen ein modernes Leben eintauschen will. Eine gute Arbeit, die sich 8 von 10 Punkten verdient.
Regie
Die Regie übernahm Potsy Ponciroli. Der kleinen Vita folgend, die einen Animationsfilm im Jahr 2012, mehrere Musikvideos und Folgen von Serien umfasst, war es eine Herausforderung hier einen Langfilm zu erstellen, der nicht unter den anderen Genre-Beiträgen untergeht. Anscheinend hat er seine Hausaufgaben gemacht. Das Leben auf der Farm ist hart und dreckig, die Distanzen zwischen den Farmen noch lang und Fremde sind sowieso nicht gern gesehen. Auch behaupten sowohl Ketchum als auch Curry Gesetzeshüter zu sein, was Harry für die Frage stellt wem er trauen kann, wenn überhaupt. Zuletzt ist die Belagerung der Farm gut umgesetzt, nicht mit Dauerfeuer aus allen Rohren, sondern Taktik und einem kleinen Heimvorteil für Harry.
Für einen (Quasi)-Erstling eine tolle Arbeit, die 7 von 10 Punkten verdient.
Nachbearbeitung
Wenn ein Studio der Meinung ist, der Film könnte nicht ihren Erwartungen entsprechen, zum Beispiel, weil es ein Regie-Erstling ist, wurde es die letzten Jahre zum Standard diesen Film dann als 4K zu promoten. Wenn der Film dann eine Ente ist, tut es umso mehr weh, wenn man selbst im Streaming dann 19,99 Euro abgedrückt hat. Zum Glück ist das hier nicht der Fall. Mit etwas Sentimentalität in Richtung der Spiele Red Dead Redemption ist das Leben auf dieser Farm in Oklahoma genau das Leben, das John Marston sich gewünscht hätte. Auch Old Henry bleibt das verwehrt, wenn ein Deputy unweit seiner Farm aus dem Sattel fällt. Einen Arzt zu rufen macht keinen Sinn, also muss Harry dem Mann selbst die Kugel entfernen oder er stirbt einen schmerzhaften Tod.
Mit Revolver und Flinte macht es – entgegen dem Klischee, das andere Filme zu gerne füttern – keinen Sinn auf die Ferne zu schießen. Umso gefährlicher ist es natürlich den Nahkampf suchen zu müssen, da hilft es dann wohl ein ehemaliger Revolverheld zu sein, der mit „Dead Eye“-Modus gezielte Treffer im Akkord austeilen kann.
Und nicht zuletzt ist die abgelegene Lage der Farm ein Garant dafür, dass niemand die Schießerei hört, sodass Ketchum und seine Bande sich keine Sorge um ungebetene Zaungäste machen müssen. Andererseits wird auch niemand zufällig reinplatzen, wenn die Leichen – und davon gibt es gegen Ende dann genug – verschwinden müssen. Das Leben in Oklahoma 1906 ist hart, dreckig und es gilt noch immer das Gesetz der Flinte. Die Aufmachung bringt das authentisch rüber, und die Ausführung in 4k lohnt sich (natürlich bei der entsprechenden technischen Ausstattung für Bild und Sound). 7 von 10 Punkten.
In der 4k Doppel-Disc ist ebenfalls ein 40-seitiges Booklet mit Bildern und Hintergrundinformationen zum Film enthalten.
Musik
Das Landleben ist ruhig, sodass nur ein Lied in zwei Varianten vorkommt: „My Son“ von Eddie Montgomery. Für den Film gemacht und im offiziellen Video mit Szenen aus dem Film aufgehübscht, bringt der Song noch einmal 8 von 10 Punkten.
Filmkritk
Fazit
Old Henry liefert genau was man sich erwartet. 99 Minuten guter Western vor authentischer Kulisse, Abwechslungsreich mit nachdenklicher Ruhe, Schießereien und etwas Beziehungsdrama gewürzt. 7,5 von 10 Punkten sind eine Empfehlung für Fans von Western, die grobkörnige Geschichten mit so viel Inhalt wie ein Heliumballon, und der Dichte von Seidenpapier, leid sind. Old Henry erfindet das Genre nicht neu, muss sich aber auch nicht verstecken. Es ist zwar kein True Grit (was sowieso ein Remake war), doch ein sehenswerter Beitrag zum Revolverhelden-Western.