Was kommt raus, wenn man die Geschichte eines Serienmörders, der die Aufmerksamkeit von Hannibal Lecter erwecken würde, zusammenwirft mit etwas Hokuspokus aus der Geschichte des Zodiac-Killers, ergänzt um Wissen über Satanismus aus einem YouTube-Video? Bestimmt etwas im Maße von Longlegs. Ist das Ergebnis deswegen schlecht? Keinesfalls!
Story/Inhalt
Die Rookie-Ermittlerin Lee Harker erhält beim FBI ihren ersten Fall zugewiesen, der direkt im Mord an ihrem Partner endet. Obwohl tief getroffen, teilt man ihr jedoch sofort den nächsten Auftrag zu. Denn Lee Harker scheint einen sechsten Sinn zu haben. Muster in Fällen zu erkennen, was zwar zum Tod ihres Partners führte, weil sie auf Anhieb das richtige Haus ausgemacht hat, andererseits ihren Kollegen äußerst suspekt erscheint. Allerdings hat Agent Carter, der mit dem Fall des Serienmörders Longlegs betraut ist, ein besonderes Interesse an der jungen Agentin. Denn in nur wenigen Tagen bringt sie mit ihrem sechsten Sinn die Ermittlungen weiter als er es in Jahren geschafft hat. Nur ergibt sich dadurch ein neues Problem: sie kommen Longlegs zwar näher, doch der Serienmörder wird auf die Ermittler aufmerksam und beschleunigt sein Vorgehen.
Die Geschichte nimmt funktionierende Dinge aus Genregrößen und mischt die Karten neu. Obwohl nichts Neues geliefert wird, fesselt die Geschichte von Anfang an und hält den Zuschauer gespannt an der Kante des Sessels. Könnte man sich Agent Starling vorstellen, wie sie den Fall mit Doctor Lecter diskutiert? Auf jeden Fall. Die Geschichte funktioniert und hält die Spannung bis zum Abspann aufrecht. 8 Punkte garantiert.
Schauspieler
Maika Monroe übernimmt die Hauptrolle als Agent Lee Harker. Ihren Durchbruch erspielte Monroe mit dem Horrorfilm „It Follows“, der statt Gewalt im Film „Smile“ Sex als Inkubator für einen dämonischen Fluch verwendet. Später war sie in Filmen wie „Independence Day 2: Wiederkehr“ und „God is a Bullet“ zu sehen. Hier schafft sie es, die Entwicklung vom Frischling zum vollständigen Agent mit überzeugender Effizienz runterzuspielen. Je tiefer sie in den Fall eintaucht, desto mehr geht sie darin auf und wagt es nach anfänglichem Zögern sogar, ihren Vorgesetzten zu widersprechen, bis sie im Finale gehetzt versucht, ihre Fehler wiedergutzumachen.
Blair Underwood spielt Agent Carter, der die Ermittlungen am Fall bisher leitete. Underwood spielte in den späten 1990ern in Blockbustern wie „Deep Impact“, dem weniger erfolgreichen Asteroidenfilm neben Armageddon, oder „Gattaca“ mit. Die letzten Jahre spielte er eher in Serien, wie „Quantico“ mit oder lieh seine Stimme animierten Filmen und Spielen. Hier nimmt er sich der jungen Agentin an, lässt ihr genug Leine um sich zu entfalten, zieht bei Bedarf aber auch an um Ergebnisse zu erhalten. Sein Versuch die distanzierte Agentin mit seiner Familie in Kontakt zu bringen, schafft allerdings bereits im ersten Drittel die Grundlage für das Finale, was erfahrenen Zuschauern bereits hier mit erst wenigen Puzzlestücken der Lösung klar sein sollte.
In Nebenrollen sind Alicia Witt (als Harper Mutter) und Michelle Choi-Lee (als Agent Browning) zu sehen, beide zumeist Nebendarsteller in Serien.
Der größte Name im Cast ist natürlich Nicolas Cage (Renfield). Als Longlegs spielt er wieder auf seiner eigenen Ebene was Wahnsinn und Over-Acting angeht. Dieses Mal in ein hässliches Kleid gezwängt und mit so viel Maskenkitt verfremdet, dass ein urhässlicher Charakter entsteht, verursacht Longlegs schon allein durch sein Auftreten Gänsehaut. Wenn er dann noch spricht, ist das Bild einer Person, in deren Gegenwart man einfach nur die Flucht ergreifen will.
Während Monroe und Underwood gut harmonieren und die Schlinge um Longlegs immer enger ziehen, gruselt Longlegs sich durch die Stadt und bereitet seinen nächsten Mord vor. Der Spannungsbogen ist genauso gut wie das Schauspiel, was noch einmal 8 Punkte bringt.
Regie
Osgood Perkins begann seine Karriere als Schauspieler, unter anderem in dem Film „Secretary“. Deshalb zu erwähnen, weil dieser Film 2002, mit Maggie Gyllenhaal in der Hauptrolle, den Plot von „50 Shades of Grey“ bereits verwendet ohne dabei wie die „moderne Verfilmung“ lächerlich und verfälschend (was toxische Beziehungen betrifft) rüberzukommen. Später spielte Perkins unter anderem in einem der letzten Filme von David Carradine (Dead & Breakfast), sowie ein Redshirt in JJ Abrams Relaunch der Star Trek Filme.
2015 wandte sich Perkins der Regie zu und debütierte mit dem Film „Die Tochter des Teufels“, mit Emma Roberts in der Hauptrolle. 2020 folgte eine Neuinterpretation des Grimm-Märchens Hänsel und Gretel mit dem Titel „Gretel & Hansel“, sowie eine Folge der Neuauflage von „Twilight Zone“.
Bei Longlegs schafft er eine gute Mischung der besten Stücke von „Das Schweigen der Lämmer“ mit einem Hauch „Se7en“, abgerundet mit ein paar Anleihen aus der Geschichte des Zodiac-Killers. Trotz eines kleinen Abfalls in etwa der Mitte der Handlung schafft es Perkins die Spannung immer hoch zu halten, und schaltet dann noch einen Gang hoch als Longlegs zwar gestellt ist, aber die letzten Hinweise zeigen, dass die Sache noch nicht geklärt ist.
Eine solide Arbeit, vor allem, weil weder große Splatter- noch Gewalteinlagen verwendet werden. Die Spannung entsteht aus der Entscheidung Licht, Schatten und Kamera geschickt einzusetzen. 8 von 10 Punkten.
Nachbearbeitung
Regisseur Perkins nutzt wie gesagt Licht, Schatten und Perspektive um die vorhandenen Mittel bestmöglich auszuschöpfen. Je tiefer Harker in den Fall eintaucht, desto kleiner wird ihre Wahrnehmung der Welt, bis sie schließlich nur in einem Fleck Licht, umgeben von ihren Beweisen sitzt.
Nicolas Cage wird absichtlich so hässlich gemacht, dass seine pure Präsenz schon den Fluchtinstinkt auslöst. Wenn er dann noch ein Cage-typisches überdrehtes Spiel abliefert, bleibt schlicht die Frage warum nicht schon viel früher jemand das Verhalten dieser Person aufgefallen ist. Denn Longlegs macht keinen Hehl daraus, auf gesellschaftliche Konventionen zu spucken und sie zu treten. Da ist die Tatsache, dass er auch noch Satanist ist, nur der kleine I-Punkt auf dem Ganzen.
Der Film verzichtet auf Jumpscares, (unnötig) blutige Szenen oder Einlagen. Die bloße Präsenz von Longlegs genügt, und die Handlung kommt ohne die ansonsten üblichen Genremittel gut zurecht. Kleines Goodie ist, dass die mysteriösen Schreiben von Longlegs in einer Variante des Zodiac-Killer-Codes verfasst sind. Obwohl dieser Code bis heute nicht vollständig entschlüsselt ist, bleibt es doch eine beachtliche Leistung von Agentin Harker alle Briefe in nur einer langen Session zu entschlüsseln, woran ihr Vorgänger in Jahrzehnten gescheitert ist. Fakt am Rande: der gesamte Film spielt während der Amtszeit von Bill Clinton, also in den 1990ern, da sein Bild in den Büros des FBI hängt.
Effekte und Aufmachung verdienen sich 7 von 10 Punkten. Wobei die Arbeit an Longlegs eine eigene Bewertung von 9 von 10 Punkten verdient: um der Arbeit der Maske und der Geduld von Cage Respekt zu zollen.
Musik
Nebst mehreren Instrumentalen Stücken, schreibt sich die Band TRex gleich drei Mal im Soundtrack ein. Dazu kommen von Cage selbst gesungene Liedchen, die aber mehr für Cringe-Faktor sorgen (der Rolle geschuldet), als dass sie sich ein Lob verdienen würden. Es sind halt die 1990er, und wenn ein Autoradio dudelt, kommt sowas raus. 4 von 10 Punkten für die Musik.
Filmkritk
Fazit
Mit 35 von 50 möglichen Punkten ist Longlegs eine glatte 7. Die gute Leistung des Casts in einer tollen Story, gut umgesetzt von Regisseur Perkins ist leider im Sommerloch geparkt worden. Das tut dem Ergebnis unrecht und schmälert die Arbeit der Beteiligten grundlos. Das Marketing hat seinen Teil dazu beigetragen, einen Hype zu erzeugen, der bei einigen Enttäuschung hervorgerufen haben mag - hier wird die Enttäuschung über das Fehlen von Blut und Gewalt, die dem Genre normalerweise innewohnen, vorgebracht. Immerhin knackte Longlegs bereits die 100 Millionen Bruttoertrag, wobei bei knapp 70 Millionen Budget die Champagner wohl auf Eis bleiben.