„Europa“ (2023) ist ein österreichischer Film der Regisseurin Sudabeh Mortezai und spielt in Albanien. Die Managerin Beate Winter soll dort für den internationalen Konzern „Europa“ unter anderem Einheimische zum Verkauf ihrer Grundstücke bewegen. Der Film ist daher fast zur Gänze auf Englisch oder Albanisch mit Übersetzung.
Schauspieler – Guter Cast
Die Hauptfigur, die Managerin Beate Winter, verkörpert die deutsche Schauspielerin Lilith Stangenberg. Ihren Assistenten Lasse spielt Tobias Winter, den Bauern Jetnor verkörpert Jetnor Gorezi. Auch wenn noch andere Personen immer wieder eine Rolle spielen, kann die Filmhandlung schließlich unter dem Konflikt zwischen Beate und Jetnor summiert werden. Ich war während des gesamten Filmes erstaunt, wie authentisch die Schauspieler und das ganze Setting wirkte. Von großem Hollywoodkino keine Spur. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass über den ganzen Film hinweg sich entweder auf Englisch bzw. Albanisch unterhalten wird – wie es Personen unterschiedlicher Sprache tun würden. Während die albanischen Bauern und Arbeiter auf mich besonders realitätsnah erschienen, strahlte die Hauptfigur Beate Winter eine undurchdringliche Kühle aus, der Charakter erst im Laufe des Filmes stärker durchkam und sich entfaltete. Die Komplexität der Figur wird von Lilith Stangenberg perfekt getragen.
Story – Zum Nachdenken
Die Managerin Beate Winter wurde vom internationalen Konzern „Europa“ nach Albanien geschickt, um unter anderem Einheimischen ihre Grundstücke abzukaufen und diese Verträge unterzeichnen zu lassen. Was genau der Konzern eigentlich macht, wird im Laufe des Filmes nicht aufgeklärt. Beate Winter aber verspricht den Einheimischen für Infrastruktur und Fortschritt zu sorgen, wenn diese den Vertrag unterzeichnen und ihr Zuhause verlassen. Bei dieser Reise stößt die Managerin auf viele Widerstände von Menschen, die ihre Traditionen und ihr Heim nicht aufgeben wollen. Mit kühler Liebenswürdigkeit und sanft vorgetragenen Argumenten lässt Beate Winter nicht locker, manipuliert und emotionalisiert schließlich. Dass ihr, entgegen ihren eindringlichen Beteuerungen, die Menschen und ihre Geschichten nichts bedeuten, wird im Laufe des Films langsam immer mehr ersichtlich. Schließlich erhält sie eine Unterschrift von dem Bauern Jetnor, dessen Tochter studiert und für die die Familie eine gute Zukunft will. Kaum ist die Unterschrift geleistet, kann es gar nicht schnell genug gehen: Beate Winter macht sich auf den Weg zurück und die ersten Bagger reißen am nächsten Tag die Bienenstöcke von Jetnor ein, die er eigentlich übersiedeln wollte. Er bemerkt, dass er betrogen worden ist, kann nichts mehr tun, die fatale Unterschrift ist geleistet.
Regie – Spannung baut sich langsam auf
Der Film beginnt recht langsam und baut seinen Sog nach und nach auf. Damit einher geht ein wachsendes Gefühl von Unbehagen, als würde etwas Schlimmes bevorstehen und sich nur ganz leise am Horizont ankündigen. Der Film überzeugt zudem, wie bereits erwähnt, mit Authentizität: Teilweise hat man das Gefühl, Teil einer Dokumentation über das rurale Albanien zu sein. Insgesamt ist der Film sehr ruhig; man beobachtet, zieht seine eigenen Schlüsse. Es gibt kaum Dialoge, die der Innenschau verschiedener Charaktere dienen. Dadurch entsteht das Gefühl, als Beobachter außen vor zu bleiben, die wahren Vorgänge erst nach zu nach zu erahnen. Auch ohne allzu viel dramatischer Erzählung nimmt der Film an Fahrt auf. Mit dem abrupten Ende fühlt man sich zwar plötzlich allein gelassen, allerdings regt der Film von Sudabeh Mortezai definitiv zum Nachdenken an.
Nachbearbeitung – Schön gemacht
Der Film ist von hellen, sanften Farben geprägt, mit leichtem Grün- bzw. Gelbstich. Diese Sepiafärbung verstärkt den Effekt einer ländlichen, etwas aus der Zeit gefallenen Idylle. Die Kamera fängt die Szenen teilweise besonders kunstvoll ein und liefert schöne Perspektiven. Insgesamt ist der Film technisch sehr gut gemacht.
Musik – Wenig tatsächliche Musik
Geräusche spielen grundsätzlich eine große Rolle in Sudabeh Mortezais „Europa“; sie tragen zur Vermittlung der Landschaft, des ländlichen Lebens in Albanien bei und leisten einen wichtigen Beitrag zu dem Gefühl der Authentizität, das der Film auslöst. Darüber hinaus wird nur selten tatsächliche Musik eingespielt: Es handelt sich vor allem um extra-diegetische Folklore-Musik und Gesang, die das Setting des bäuerlichen Alltags unterstreichen.
Filmkritk
Fazit
Der Film entwickelt sich langsam und verlangt vom Publikum, aufmerksam zu bleiben, da Hintergründe kaum erklärt werden. Er entwickelt aber eine eigentümliche Spannung und regt dabei zum Nachdenken und Darüber reden an. Schauspielerisch und technisch ist „Europa“ gut gemacht und erhielt meiner Meinung nach zurecht einen Spezialpreis der Jury bei der Viennale 2023.