Bereits im Vorfeld wurde der Film – ungesehen – von so vielen Seiten mit so viel Dreck beworfen, dass bei einer anderen Franchise wohl jedes Studio den Deckel darauf geworfen hätte und der Film im Giftschrank verschwinden wurde. Dazu kam die Produktionshölle mit diversen Nachbearbeitungen. Doch hat der Film das verdient, oder ist er nur das nächste Opfer im Kampf zwischen toxischer Maskulinität und starken Frauencharakteren?
Story/Inhalt
Carol Danvers, aka Captain Marvel, ist zurück. Nachdem sie die Superintelligenz der Kree zerstört hat, zieht sie wie gehabt mit ihrem Flurken Goose von Planet zu Planet um den Schwachen zu helfen und den Bösen einen vor den Latz zu geben. Nebenbei versucht sie noch ihre durch die Kree gesperrten Erinnerungen freizuschalten. Seltsame Aktivitäten im Portalnetzwerk, das mittlerweile von S.W.O.R.D. von der Erde aus überwacht wird, führt sie auf einen verwüsteten Planeten. Dort zeigen sich Anzeichen für Kree-Aktivitäten, und durch eine Schwankung im Portalnetzwerk wird Captain Marvel mit ihren Pendants Monica Rambeau und Kamala Khan auf der Erde verschränkt. Wann immer eine der drei ihre Fähigkeiten nutzt, tauschen sie Plätze. So müssen sie ein Team bilden um die Kree zu stoppen, die auf Kosten anderer Planeten ihre zerstörte Welt wiederherstellen wollen. Doch ist Captain Marvel wirklich die Gute, sind die Kree wirklich die Bösen, und sind Katzen, obwohl sie tödliche Tentakelmonster enthalten können, nicht knuddelig?
Viele Inhalte aus Comics wurden herangezogen. Das bringt eine gewisse Nostalgie bei denen, die die Comics gelesen haben. Doch nur, weil man sich großzügig aus dem Ressourcenpool bedient, entsteht noch lange nicht eine kohärente, sinnvolle Story. Schon um nur die nötigsten Zusammenhänge und Hintergründe der Charaktere zu kennen muss man je eine der Marvel-Serien gesehen haben, was augenscheinlich viele nicht getan haben (ob es an den Kosten für Disney+ oder einfach nur Ablehnung ist, lass ich mal im Raum stehen). Weniger relevant ist der erste Captain Marvel-Film, der mit Rückblenden abgedeckt wird (genau den haben die meisten aber gesehen). Gewürzt wird das Ganze mit gut 10 Minuten Techno-Babbel, was bei knapp 106 Minuten Laufzeit eigentlich recht viel ist. Ist die Story rund, durchdacht und entspricht den Erwartungen der Zuschauer? Dreimal Nein. Darum 2 von 10 Punkten.
Schauspieler
Brie Larson ist Oscar-Preisträgerin, und hat in anderen Filmen ihre Vielfältigkeit und Tiefe gezeigt. Doch die Rolle der Carol Danvers wirkt als sei sie nur körperlich anwesend. Ihre Palette und Tragkraft bleibt wie schon beim ersten Film auf der Strecke. Obwohl sie auch als Sängerin tätig ist, wirkt ihre Stimme auch bei der Gesangseinlage schwach. Teyonah Parris bringt mit Monica Rambeau einen Charakter, der die meisten wohl vergessen haben. Im ersten Captain Marvel noch als Kind, kehrte sie in WandaVision als Agentin von S.W.O.R.D. zurück und jetzt erwartet man einfach, dass man diese Hintergründe bis ins Detail kennt. Ein großer Rucksack, den sie da schultern sollte, aber es zufriedenstellend schafft. Trotzdem wirkt ihre Rolle etwas wie das fünfte Rad am Wagen.
Iman Vellani als Kamala Khan wird durch den Film denen, die ihre Serie (aus welchen Gründen auch immer) nicht gesehen haben, mit einem bunten Comic-Strip-Intro vorgestellt, dass verdächtig nach Spiderverse-Plagiat aussieht. Trotzdem entwickelt sich die junge Heldin mit ihrer jugendlichen Naivität und Motivation bald zur tragenden Kraft des Films, übernimmt quasi die Mentor Rolle für Carol Danvers und steigt schnell zum vollwertigen Teammitglied auf.
Und dann noch das wirkliche fünfte Rad am Wagen: Samuel L. Jackson (The Hateful 8) kehrt als Nick Fury zurück. Doch aus dem charismatischen Anführer von Shield, Director der Avenger-Initiative und Augenklappenträger wird hier ein planlos wirkender Sidekick ohne Charaktertiefe. Alles, was Nick Fury war, ist weg.
Als Gegenspieler nimmt Zawe Ashton die Rolle der Kree Dar-Benn ein. Mit Charisma und eiserner Hand übernahm sie nach dem Bürgerkrieg das Ruder und führte sie in den Kampf gegen die Zerstörerin. Obwohl man jeden Moment erwartet, dass sie nach ihren Drachen ruft – augenscheinlich diente Emilia Clarkes Daenerys als Vorlage – bringt sie ihrem Charakter Kraft und Tiefe. Wie schon Christian Bale im „Thor – Love and Thunder“ schafft sie einen verständlichen Bösewicht, der auf dem Weg zum Ziel kompromisslos alles und jeden inklusive sich selbst zerstören würde, wenn nötig.
Kamala verbessert ihr Ansehen, da sie nun einem breiten Publikum ein Begriff ist. Und Zawe Ashton ist der Höhepunkt des Films. Gesamt gibt es Höhen und Tiefen bei den Charakteren. Da die Tiefen überwiegen und Fanliebling Nick Fury entmannt und charaktertechnisch verbrannt zurückbleibt, gibt es nur 2 von 10 Punkten.
Regie
Nia DaCosta erhielt mit 300 Millionen Dollar Budget die Möglichkeiten einen guten Film zu machen. Es kann aber nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass Geld fehlende Story, Charaktertiefe und Sympathie für die Helden nicht kompensieren kann. Plötzlich das mehrfache an Budget zu haben wie alle Projekte zuvor zusammen kann überfördern – und CaCosta wirkt überfordert.
Da hilft auch nicht eine „Bonding Experience“ mit Seilspringen oder Anleihen von Zitaten aus erfolgreichen Filmen. Robin Williams wird in seinem Grab rotieren für den seelenlosen Missbrauch von „Captain, mein Captain“. Von der Bollywood-Gesangseinlage (obwohl die Comic-Canon ist) will ich gar nicht erst anfangen. Wenigstens ist das Elend nicht allzu lange. DaCosta erarbeitet sich 3 von 10 Punkten, die Einspielergebnisse sollten Strafe genug sein.
Nachbearbeitung
Präsentiert in IMAX 3D sollte man einiges erwarten dürfen. Doch irgendwie sind mir keine besonders erwähnenswerten 3D-Effekte in Erinnerung geblieben, abgesehen von einem kurzen Unwohlsein beim Sprung durch das Raumportal. Blinkende Lichter, kombiniert mit ruckelnden Bildern sind eine üble Konstellation. Und vor allem können sie weder fehlende Story noch entwickelte Charaktere kompensieren.
Der Film wurde, wie in Interviews und Promotion diskutiert und offengelegt, mehrfach neu geschnitten und hatte Nacharbeiten mit Ergänzungen und Neuaufnahmen. Wenn das aber das beste Gesamtbild ist, dann sind die Probleme des MCU noch schlimmer als bisher angenommen. Normalerweise heißt es drei Strikes und du bist raus. Seit dem Ende von Infinity War hatte das MCU aber nicht mal 3 Treffer (meine Meinung). Die Einspielergebnisse bestätigen das. Gnädige 3 von 10 Punkten.
Musik
Für einen solchen Film findet sich ein eigentlich recht überschaubarer Soundtrack. Einige Lieder zur Untermalung, und dann die absolute Todsünde: Beasty Boys Intergalactic auf Marvels Schiff. Seit dem Knieschuss in Star Trek Beyond mit Sabotage sollte Hollywood eigentlich davon geheilt sein Genre- und Handlungsfremde Musik reinzupacken nur um etwas Retro-Feeling zu erwecken. Und Barbra Streisands Memory aus „Cats“ zu spielen während Flurken Menschen verschlingen – Andrew Lloyd Webber hat das ebenso wenig wie den Film Cats verdient. Achtung, Spoiler zur Abspannszene: und zuletzt einen Doppelschlag mit den Themes von X-Men 2, als Beast auftaucht, und X-Men Days of Future Past bei der Erwähnung von Professor X.
2 von 10 Punkten für die Musik. Vielleicht gut gedacht, aber nicht gut gemacht.
Filmkritk
Fazit
Das Rad der schlechten Einträge im MCU dreht sich munter weiter. Überschattet von Diskussionen über toxische Maskulinität, die als Vorwand für die schlechten Kritiken dient, täuscht The Marvels nur naive, blauäugige Teens darüber hinweg, dass der Film über weite Strecken einfach fehlende Tiefe und Handlungsfortschritte hat. Dazu kommt der einzige volle Punkterfolg auf der Mary-Sue Skala: in nur EINEM Satz gibt Captain Marvel zu, mal einen Fehler gemacht zu haben, schüttelt es dann aber im selben Moment ab und macht weiter wie gehabt. Charakterentwicklung Null, genauso wie beim Bösewicht. Dem Tode nah gibt er sich geläutert, nur um dann einen hinterhältigen Angriff zu versuchen – schon gesehen in jedem Vorgänger, von sogar in jedem Aufritt. Bei der Sing- und Tanzeinlage inklusive lächerlichen Kostümen war ich kurz davor aufzustehen und zu gehen. Wenn Kamala Khan dann ausgeschickt wird um die neuen Avengers zur rekrutieren und den epischen ersten Auftritt von Nick Fury zu einer lächerlichen Parodie verkommen lässt, ist der Kuchen aus Mist fertig garniert (und verkauft mir die Scheiße nicht als Schokolade!). Und reden wir mal darüber, dass jetzt dutzende Flurkens auf der Erde herumlaufen. Das ist Life 2.0, nur mit Tentakelmonstern in Katzen statt mit einer rasch wachsenden Mikrobe. Bei besten Willen kann dieser Film nicht gut bewertet werden. Rein faktisch verdient er sich 2,5 von 10 Punkten, doch rein emotional stelle ich ihn im Kinojahr 2023 auf dieselbe Stufe wie Meg 2. Kann bitte Thanos einfach Phase 4 und 5 blimpen, oder ein Riss im Multiversum? Spiderman, Doctor Strange, wenn’s sein muss sogar DC’s Flash… irgendwer?