Ridley Scott gilt als Garant für Historienfilme. Auch wenn er sich einige Freiheiten erlaubt, sind es spannende Actionfilme, die meist die Geschichte gut wiedergeben und mit einprägsamen Schlachten oder Kämpfen überzeugen können. Darum ist die Erwartung für die Geschichte des kleinen Korsen, der Europa zwei Mal fast eroberte, sehr hoch.
Story/Inhalt
Die Geschichte eröffnet die Hinrichtungen während der französischen Revolution. Der junge Staat schickt (noch) Capitain Napoleon nach Toulon um die britische Seeblockade zu brechen. Sein Erfolg bringt ihm eine Beförderung ein und er leitet die französische Expedition nach Ägypten. Doch innere Konflikte im Staat, und Gerüchte über die Untreue seiner Frau Josephine, verleiten Napoleon dazu nach Frankreich zurückzukehren. Dort übernimmt er das Kommando über den Staat und intrigiert sich geschickt an die Spitze bis er zum Kaiser gekrönt wird. Europa muss sich seinem Willen beugen bis er nach Russland marschiert und beinahe seine gesamte Armee im russischen Winter aufgerieben wird. Sein kurzes Exil in Elba bringt ihn erneut zurück in seine Heimat, die er gut hundert weitere Tage regiert bis seine Armee von einer britischen, preußischen und russischen Allianz in Waterloo aufgerieben wird. Sein finales Exil in St. Helena ist das Ende.
So viel zum historischen Hintergrund von Napoleon Bonaparte. Sein gesamtes Leben mit einem Schauspieler in einen Film zu packen ist gewagt, und scheitert. In einer Zeit, in der man aus 300 Seiten Romanen ganze Trilogien rauspresst, ist es eigentlich unglaublich, dass so ein bewegtes Leben auf zweieinhalb Stunden reduziert wird. Napoleon bleibt zu oberflächlich und auf wenige Aspekte seines Lebens reduziert. 5 von 10 Punkten
Schauspieler
Joaquin Phoenix arbeitete schon mit Scott zusammen und mimte in Gladiator den jungen Kaiser. Als Napoleon glänzt wieder sein Potential und Talent in weiten Teilen des Films, doch in anderen Sequenzen wirkt es distanziert und abwesend. Leider ist das nicht dem Charakter Napoleons geschuldet. Außerdem wird der geniale Stratege, Staatsmann und Anführer zeitweise auf den Zwang reduziert einen Erben zu zeugen, was fast schon erbärmlich gezwungen rüberkommt.
Vanessa Kirby als Josephine übertrifft die Leistung von Phoenix. Nicht nur hat sie fast gleich viel Screentime wie er, ihr Spiel ist vielschichtiger und treffender. Hätte man den Film vielleicht Josephine betiteln sollen? Dann hätte man wenigstens gewusst was geliefert wird und Kirby hätte die verdiente Aufmerksamkeit erhalten.
In Nebenrollen treten außerdem noch Rupert Everett (der oft in Historienfilmen und Serien auftritt, zuletzt in der Serie „Der Name der Rose“), Paul Rhys (The DaVinci Demons, A Discovery of Witches) und Ben Miles (Andor, The Crown). Des Weiteren hat Scott vielen Neulingen mit bisher kurzen Vita eine Bühne geboten, darunter Riana Duce und Edouard Philipponat.
Phoenix ruft nicht sein ganzes Potential ab, oder die Erwartungen waren zu hoch, während Kirby ihm fast die Show stiehlt. Leider ist das gesamte Schauspiel, was eigentlich eine der Stärke von Scotts Filmen war, hier nur 7 von 10 Punkten wert.
Regie
Dass Ridley Scott (2021 erschien House of Gucci von ihm) mit 85 Jahren noch immer solche Projekte realisiert ist einerseits beeindruckend, andererseits auch ein Spiegel vom Problem, dass Hollywood im Moment hat. Man hat die Wahl zwischen der alten Elite, die gute Stories liefern, oder CGI-lastigen Unterhaltungsfilmen von der Stange ohne Tiefgang. Leider ist Napoleon keine der guten Arbeiten von Scott, wahrscheinlich gehört Napoleon nicht einmal in seine Top 10.
Dafür gibt es aber Gründe. Das Leben von Napoleon auf einen Film zu reduzieren war meiner Meinung nach ein großer Fehler. Zwar werden viele Schauplätze angeteasert, doch abgesehen von Austerlitz und Waterloo bleibt es dabei. Das politische Geplänkel wird ebenfalls auf Grabenkriege reduziert ohne die signifikanten Umwälzungen, die Frankreich erfahren hat aufzugreifen. Auch die Motive der anderen Nationen bleiben nebensächlich behandelt, sodass selbst historisch versierten Zuschauern meist nicht klar ist welche Nationen jetzt mit wem verbündet sind.
Zuletzt war es wohl auch ein Fehler eine Geschichte, die sich über 30 Jahre hinweg entwickelt mit demselben Schauspieler zu besetzen. Ein Kissen unter der Uniform, das Phoenix dem dicken Napoleon zu seinem Russlandfeldzug zeigt, genügt da nicht. Schließlich ist der Napoleon, der bei Toulon stand, auf Gemälden noch ein schmächtiger, kantiger Soldat, der etwas zaghaft unter dem Hut hervorblickt, später ein selbstbewusster, etwas rund gewordener Anführer mit Stolz nach oben gerecktem Kinn, und zuletzt ein gebrochener Mann, der sich hat gehen lassen.
Scott hat schon bessere Filme geliefert, vielleicht fehlte ihm im Alter auch der Mut sich an zwei Filme heranzuwagen, oder gar eine Trilogie. Darum nur 5 von 10 Punkten.
Nachbearbeitung
Ausstattung, Requisite und Inszenierung entsprechen den Erwartungen. Toulon und Austerlitz sind gut gemachte Schlachten, die aber nicht an die Eröffnung von Gladiator, oder die Kämpfe in Black Hawk Down herankommen. Dass Ereignisse gestrichen oder nicht erwähnt werden, wäre vertretbar. Aber die Völkerschlacht von Leipzig wird mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie bis zum Ersten Weltkrieg die verlustreichste Schlacht war und maßgeblichen Einfluss auf Napoleons Entthronung hatte.
Auch wird sein Leben vor dem Abspann nur auf die Auflistung der Toten durch seine Feldzüge reduziert. Dass Napoleon auch ein zeitweise erfolgreicher Staatsmann, ein Diplomat und in Bereichen wie Bildung und Infrastruktur wichtige Reformen auf den Weg brachte (was sowohl Könige und zivile Regierungen davor und zwischen seinen Regierungen verabsäumt hatten), lässt man unter den Tisch fallen. Bleibt die Hoffnung, dass der von Scott angekündigte Director‘s Cut, der 92 Minuten länger sein soll, einige dieser Dinge abdeckt. Die Kinofassung verdient sich 7 von 10 Punkten, die Hoffnung ruht auf dem Director’s Cut
Musik
Die Musik untermalt passend die Szenerien, ist aber nicht tragend oder wichtig. Wenigstens bleiben den Zuschauern militärische Märsche erspart, wenn die Truppen in Bewegung sind. Wenigstens überzeugt der satte DD-Sound. Keine Punkte für diese Rubrik.
Filmkritk
Fazit
Napoleon wird den von Trailer und dem Namen Ridley Scott geweckten Erwartungen nicht gerecht. Was der Höhepunkt des Jahres (für ein generell eher schwaches Kinojahr) hätte sein können verkommt zu einem teils langatmigen und enttäuschenden Film. Hoffentlich liefert der angekündigte Director’s Cut Wiedergutmachung. Zusammengefasst verdient sich Napoleon wenig überzeugende 6 von 10 Punkten.