„Wenn ich nicht wiedergewählt werde, gibt es ein Blutbad“. Mit dieser Aussage zeigt einer der größten Narzissten wo sein Demokratieverständnis endet. Lieber würde er sein Land in einen Bürgerkrieg stürzen als eine Wahl zu akzeptieren, die nicht seinem Weltbild entspricht – denn, wenn er nicht eindeutig wiedergewählt wird, dann müssen „die da Oben“ die Wahl ja manipuliert haben. Wie dieser Bürgerkrieg aussehen könnte, zeigt Civil War. Regisseur Alex Garland betont bewusst hier eine Science-Fiction-Dystopie zu zeigen und keinesfalls Partei für eine Seite ergreifen zu wollen.
Story/Inhalt
Amerika ist gespalten. Eine Allianz aus Kalifornien und Texas (Western Federation mit ihrer Armee Western Forces) kämpft gegen die Regierungstruppen, nachdem der Präsident eine dritte Amtszeit angetreten hat. In New York bereitet die Kriegsberichterstatterin Lee mit ihrem Kollegen Joel eine Fahrt nach Washington vor, um ein Exklusiv-Interview mit dem Präsidenten zu erhalten. Allerdings wurden Journalisten, die nicht im Sinne der Regierung berichten wollten, bereits vor dem Weißen Haus erschossen.
Der Gruppe schließen sich der in die Jahre gekommene Journalist Sammy und die junge Studentin Jessie an. Bei ihrer Fahrt nach Süden durchstreifen sie ein zerrissenes Land. Nicht nur Regierungstruppen und die Armee der Western Forces, sondern auch lokale Bürgerwehren, Plünderer und sonstige Splittergruppen bekämpfen sich. Jederzeit und überall kann man ohne Grund unter Beschuss geraten oder ausgeraubt werden. Lee, die durch ihre Erfahrungen in verschiedenen Kriegen und Konflikten empathielos und hart geworden ist, will weder Sammy noch Jessie bei sich haben, weil er zu alt und Jessie zu unerfahren ist. Bereits die ersten Zusammenstöße erschüttern Jessie, Lee nimmt sich ihrer aber an und bringt ihr einige Kniffe bei. Schließlich hoffen alle das perfekte Foto zu schießen. Eine gute durchdachte und umgesetzte Dystopie, die in ihren Bildern teilweise das Feeling eines Shooter-Spiels geschickt mit der Wirkung von Kriegsreportern und der Macht der eingefangenen Bilder kombiniert. Der Film setzt zwar Kämpfe als Medium ein, legt aber auch Wert auf Charakter- und Worldbuilding. Eine solide 8 von 10.
Schauspieler
Kirsten Dunst übernimmt als Reporterin Lee die Hauptrolle. Als erfahrene Kriegsberichterstatterin ist sie in ihrer Arbeit losgelöst von der Welt, zeigt aber immer wieder Symptome von PTST. Zuerst sieht sie ihre Begleiter nur als Ballast, nimmt sich später aber Jessie als Mentorin an. Wagner Moura (Tropa de Elite) spielt Joel, den Partner von Lee. Er fungiert als Guide und Organisator und versucht die Gruppe zusammen zu halten, begräbt seine Gefühle und Erfahrungen allerdings unter Drogen, Medikamenten und Alkohol. Er ist zwar die gute Seele der Gruppe, aber trotzdem nicht weniger angeschlagen wie die distanzierte Lee.
Sammy wird von Stephen McKinley Henderson (Dune) gespielt. In die Jahre gekommen hofft dieser Reporter auf eine letzte große Story bevor er endgültig zu alt und zu lahm für Berichte von der Front ist. Cailee Spaeny (Priscilla) drängt sich mit einem Trick in die Gruppe. Sie verehrt Lee, erfährt zu Beginn allerdings nur Verachtung von ihrer Heldin. Erschüttert von der Realität außerhalb der Großstädte wächst sie mit jeder Situation weiter als Person heran, was Lee auftauen lässt, weil sie sich wohl an sich selbst erinnert fühlt. Je mehr Lee der Situation entgleitet, desto mehr nimmt Jessie ihre Rolle ein.
Der Cast geht in der Geschichte voll auf, Dunst und Spaeny agieren gut zusammen und geben dem Gesamtbild den letzten Schliff, was ebenfalls 8 von 10 Punkten bringt.
Regie
Alex Garland lieferte mit „Ex Machina“ 2014, „Auslöschung“ 2018 und zuletzt „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ 2022 bereits drei überragende Filme und steht auch hinter Drehbüchern wie „28 Days Later“, „Sunshine“ und „Dread“ sowie dem Roman zu „The Beach“ mit Leonardo DiCaprio.
Wie schon in „Ex Machina“ gibt er hier einem realen Thema einen Schuss Science-Fiction auf den Weg und erschafft dadurch einen interessanten Ausblick eines möglichen Ergebnisses. Während er Politik in seinen anderen Filmen eher ausklammert, geht er bei Civil War zwangsläufig genau den entgegengesetzten Weg. Auch wenn er seinen Standpunkt nicht explizit ausspricht, zeigt der Ablauf der Geschichte sowie dass Verhalten der Soldaten und der Bürger, welcher (politische) Standpunkt hier vertreten wird. Allerdings weicht er dem Zuteilen von Gut und Böse gut aus indem alle Seiten sich menschlich verhalten, andererseits absolut gewissenlos gegen ihren (persönlichen) Feind vorgehen: beide Seite foltern, quälen, erschießen Gefangene und haben kein Problem damit ihr Feindbild mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Manche Szenen wirken eher aus einem Shooterspiel und verharmlosen fast schon den Frontalltag der Soldaten, Bürgerwehren oder Freiwilligen.
Garland liefert wieder eine gute Arbeit ab und verdient sich 9 von 10 Punkten.
Nachbearbeitung
Wie schnell die Zivilisation den Bach runter geht, wenn die Stabilität des Friedens wegfällt, kann jederzeit den Nachrichten entnommen werden. Selbst weit weg von der Front wird der Alltag schwieriger, mit Rationierungen, Stromausfällen und Einzelaktionen weit hinter der offiziellen Frontlinie – so rennt ein Selbstmordattentäter gleich zu Beginn in eine Wasserverteilung der Stadt. Auch außerhalb verläuft keine klare Kampflinie. Lokale Bürgerwehren sichern ihr Zuhause, während viele einfach die Schildkröte machen und hoffen, dass alles bald vorbei ist – so auch die Eltern von Jessie in Missouri, oder die Familie von Lee in Arizona. Doch die Bürgerwehr muss auch gegen Plünderer und Freischärler vorgehen, die oft die ehemaligen Nachbarn sind. Allerdings bleibt da die Frage ob es wirklich Plünderer waren, oder hier nur die Plünderer die Oberhand behalten.
Auch die freien Verbände, die gegen versprengte Regierungstruppen oder Einheiten der WF vorgehen, sind einerseits gut bewaffnet und ausgestattet, verfügen aber nicht über die Erfahrung von ausgebildeten Truppen. Doch nach Kämpfen nimmt sich der Sieger nur zu gern die Beute und hat dann ein Problem damit Gefangene versorgen zu müssen, und erst recht, wenn Reporter dokumentieren, dass sie die Gefangenen einfach erschießen. In der letzten Etappe vor DC entsteht dann ein Wettlauf der Reporter, die alle die letzte Schlacht einfangen wollen, und ein Foto schießen, dass an das Hissen der Flagge auf Iwo Jima oder auf dem Reichstag herankommt. Dafür sind sie bereit über Leichen zu gehen und ihr eigenes Leben zu gefährden. Zuletzt stehen sich hier zwei hoch moderne Armeen gegenüber, die über einen großen Pool von ausgebildeten Soldaten mit bester Ausrüstung verfügen, und andererseits Zivilisten, die sich bereits in Friedenszeiten oder während des Konflikts bewaffnet haben um ihr Heim zu verteidigen oder sich zu schützen. Die Straßen sind voll mit verlassenen Fahrzeugen, die oft beschossen wurden. Was mit den Passagieren geschah, bleibt oft im Verborgenen. Aber hin und wieder sieht man doch eine mumifizierte Leiche in einem Fahrzeug, oder eine frische auf einer Straße.
Garland lässt offen wann die Handlung zu verorten ist, zeichnet aber ein realitätsnahes Bild unter Nutzung aller verfügbaren Möglichkeiten. Ein letztes Beispiel: dezente Hinweise auf die aktuellen Orte der Handlung. So sind Graffiti für die Pittsburgh Steelers auf der Fahrt nach Pittsburgh auf Autobahnbrücken zu sehen, während im Stadion selbst dann jeder Hinweis auf das Team entfernt wurde, weil auf dem Rasen ein Flüchtlingscamp eingerichtet ist und Tribünen sowie Kabinen als Unterkunft eingerichtet wurden. Diese sind von Flüchtlingen beschmiert, die ihre eigenen Botschaften vermitteln wollen: sowohl Verachtung für den Präsidenten als auch die Western Forces, auf Flüchtlinge aus anderen Städten oder Bundesstaaten und lokale konkurrierende Gangs. Das Worldbuilding rundet alles ab und verdient 8 von 10 Punkten.
Musik
Die Musik untermalt das Gezeigte perfekt. Zur Öffnung die Schäden des Kriegs die Silver Apples „Love Fingers“ spielen, kommen erstmalig Vibes für einen Soundtrack auf, der auch einen Vietnam-Film einleiten könnte. Suicide liefert gleich zwei Tracks für den Film, die beide ruhige Sequenzen wortwörtlich mit einem Knall beenden. Dazu kommen begleitende Tracks aus dem Genres Rap, Rock und Metal (von De La Soul, Skid Row, Sturgill Simpson). Das Ende der Demokratie (oder deren Rettung) kommt schließlich mit „Dream Baby Dream“ performt durch Suicide, einem Cover des Songs von Bruce Springsteen. Auch hier sind 8 von 10 Punkten drin.
Filmkritk
Fazit
Civil War weicht der politischen Positionierung geschickt aus und zeigt eine Möglichkeit, die für die einen ein linksversifftes Progagandastück sein wird, während es die anderen als düstere Aussicht auf eine Verschiebung in das populistische rechte Lager sehen könnten. Der wahre Tenor ist aber die Macht der Presse. Denn obwohl Lee und Jessie immer mit der Kamera draufhalten, liegt es in ihrer Entscheidung welche Fotos es in die Welt schaffen und welche (digital) gelöscht oder niemals entwickelt werden. Civil War verdient sich 8 von 10 Punkten, und da bleibt nur die Frage nach einem letzten Statement. „Lasst nicht zu, dass sie mich töten.“ Das sollte genügen.